Frau
Luise und Frau Herta lebten gemeinsam in einem Zimmer in einer Pflegeeinrichtung.I
Ihr Zusammenleben war ruhig und
man mochte sich. Beide waren Witwen, Frau Luise schon über 15 Jahre, Frau Herta
erst seit dem letzten Jahr.
Frau
Luise kam aus einem evangelischen Dorf und war Tochter eines Bäckers. Im Krieg
habe ihr Vater sich stets und ständig geweigert Hitlers Bild in das
Schaufenster zu hängen und er war kein Mitglied der NSDAP. Aus diesem Grund
musste er und seine Familie immer Kerzen verteile, während die anderen Bewohner
im Luftschutzbunker saßen. Eines Tages wurde der Eingang des Bunkers von einer
Bombe getroffen und einige kamen dort um. Sie meinte, das es gut gewesen sei,
dass sie nicht dort sein durften
Zu
Beginn des dritten Reiches hatte Die Bäckerei B. einen jüdischen
Mehllieferanten. Dieser hatte im ersten Weltkrieg Seite an Seite mit den
deutschen Soldaten gekämpft und durch eine Verwundung eine Metallplatte im
Kopf. Frau Luise weinte, als sie mir erzählte, dass dieser treue Mann nicht
mehr arbeiten durfte. Was aus ihm geworden ist wusste sie leider nicht. Ihr
Vater bekam während des Krieges Besuch von einem alten Freund, der in Hitlers
Nähe arbeitete. Frau Luise war sich sicher, dass dieser verhinderte, dass ihr
Vater aufgrund seiner offenen Abneigung gegen das Regime nicht verhaftet wurde.
Nach einem Sturz war Frau Luise leider nicht mehr
in der Lage zu laufen, eigentlich hatte sie sich auch aufgegeben. Frau Herta
war recht depressiv und eines Tages erzählte sie mir, dass sie immer von ihrer
Mutter träumen würde. Diese würde winken, aber sie käme einfach nicht näher.
Ich fragte, ob sie glaubte, dass ihre Mutter sie abholen wollte und Frau Herta
meinte das sei wohl so, deshalb käme sie auch nicht näher.
Während
einer gemeinsamen Tasse Tee fragte mich Frau Luise unvermittelt: “Wissen sie wohin Schwester
Helga mit meinem Mann gegangen ist?“ Ich erschrak, wusste ich doch, dass sie
schon über 15 Jahre Witwe war. Ich fragte: “Wo haben sie ihren Mann denn das letzte
Mal gesehen?“
Frau Luise:“ Er stand morgens einfach an meinem Bett.“ Ich:“Und
wie hat er ausgesehen?“ Sie:“ Erstaunlich gut, sie müssen ihn exhumiert haben,
er ist doch vor Jahren beerdigt worden. Er hatte einen grünen Cordanzug an und
ein rotes Hemd.“
Wir führten dieses Gespräch an diesem Tag nicht weiter. In den folgenden
Wochen erzählte sie dem Personal immer wieder von ihrem Mann.
Zu mir meinte sie
einmal, sie habe ihn im Seniorentreff angemeldet, weil der Arme doch essen
müsste und sie ihn hier nicht wohnen lassen könnte.
Frau
Herta wurde mit der Zeit immer schwächer, sie war stets müde. Eines
Morgens bat sie das Pflegepersonal sie noch ein wenig im Bett zu lassen, weil
sie noch schlafen wolle und sie wieder von ihrer Mutter träumen wolle. Sie würde sie
so vermissen und wäre ihr in den Träumen immer so nah.
Frau
Herta schlief ganz friedlich ein- ihre Mama hat sie wohl abgeholt.
Frau
Luise war über den Tod ihrer Zimmergenossin sehr traurig, neue Mitbewohner ließ
sie gar nicht mehr an sich heran. Eines Tages wollte sie mal im Vertrauen mit
mir sprechen. Sie erzählte, dass sie wisse, dass ihr Mann tot sei und dass er
eingeäschert worden sei, aber sie verstünde nicht, dass er so real in ihrer
Umgebung auftauche. Ich habe ihr gesagt, dass ich glaube, dass er in ihrer Nähe wäre,
damit sie am Ende ihres Lebens nicht alleine sei- so wie Frau Hertas Mutter
lange Zeit in Frau Hertas träumen auftauchte.
Frau
Luise meinte, das wäre wohl so und sie sei beruhigt, dass dies wohl die
Erklärung sei und nicht, dass sie verrückt würde.
So verbrachte sie noch einige Wochen, bis auch sie einschlafen durfte.
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