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Herr Ernst B.



Lebte in der gleichen Einrichtung und hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs mit Lungenmetastasen im Endstadium. 
Er war Kettenraucher und Alkoholiker, seine Wesen war unwirsch. Jeder in seiner Umgebung versuchte den Kontakt zu ihm zu vermeiden.

Man bat mich um Unterstützung, weil sich seine permanente Meckerei auf die Mitbewohner und Mitarbeiter auswirkte. Da er gerne und viel Kaffee  trank hatten wir eine Gemeinsamkeit, die mir eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme bot.

Ich verabredete mich von Anfang an täglich zur gleichen Zeit mit ihm und nach anfänglichem Misstrauen begann er mit mir über Dies und Das zu sprechen. Er erzählte, dass er als Kind einmal in ein Abwasserrohr geklettert sei und dort stecken blieb. Man hat ihn erst 3 Tage später gefunden und die nachfolgende Lungenentzündung kostete ihn fast das Leben und sei der Grund für seinen Lungenkrebs.
 
Im Laufe der Zeit wurde unser Verhältnis  vertrauter und er begann von seiner Frau und seinen Kindern zu erzählen, von Krisen, die sein Suff ausgelöst hatten und von der endgültigen Trennung seiner Frau nach 35 jähriger Ehe.
Seine Kinder hatten sich danach auch losgesagt. Immer mehr wurde mir bewusst, dass er gerne noch einmal Kontakt zu ihnen haben wollte.

Ich suchte Kontakt zu seiner Schwester, die über seinen Zustand informiert war und bat sie mit den Kindern Kontakt aufzunehmen.
Leider waren die Verletzungen der Kindheit wohl so arg, dass sie sich auf ein Treffen nicht einlassen konnten.
Herr B. reagierte zuerst fassungslos, aber seine Trauer über diese Entscheidung schlug um in eine Art Bockigkeit.

Er beauftragte einen Bestatter mit seinem anonymen Begräbnis. Niemand dürfe wissen, wo er beerdigt würde.
Ich diskutierte mit ihm auf Teufel komm raus, dass er damit den Wunsch seiner Kindern, die vielleicht irgendwann das Bedürfnis nach einem Besuch zum Grab des Vaters bekämen, verweigere. 
Herr Ernst meinte, dass hätten sie sich dann früher überlegen sollen.

Nach einer Zeit entwickelten sich Gespräche über das Warum und das Danach.
Zu dem Warum sagte ich ihm, dass er sich seinen Lungenkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs teuer ersoffen und erraucht habe.

Das Danach machte ihm Angst, er meinte er hätte gerne meine Zuversicht, dass es etwas gäbe, für das es sich lohne zu sterben. In diesem Gespräch wurde mir bewusst, dass es eigentlich egal ist- ob etwas danach kommt. Wenn ja, dann könne er sich freuen, dass es weiter gehe- wenn nein, sei es doch egal, weil es dann vorbei sei. An diesem Tag bat er mich früher zu gehen, weil er noch eine Runde durchs Haus machen wolle.

Am nächsten Morgen teilte man mir mit, dass Herr B. verstorben sei. Er habe einen Pfleger darum gebeten auf eine Tasse Kaffee und eine Zigarette  zu ihm zu kommen. Der Pfleger meinte er käme so in 10 Minuten. Als der Pfleger das Zimmer betrat, lag Herr B. auf seinem Bett. Er hatte seine Reise angetreten und ich hoffe er zwinkert mir im Danach zu.

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